Das Geschworenengericht – Bereicherung oder Bürde des Rechtsstaats
Mit dieser – schon seit dem letzten Viertel des 19.Jahrhunderts – heftig und kontroversiell diskutierten rechtspolitischen Frage befasste sich ein von der Fachgruppe Strafrecht der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter einberufenes hochkarätiges Gremium an Referenten.
Vorweg habe ich einen kurzen Abriss der historischen Entwicklung der (im Zuge der französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege auch in Kontinentaleuropa propagierten) Geschworenengerichte in Österreich geboten:
Kurz nach Ausbruch der Revolution 1848 – als Gegengewicht zu den von den Herrschenden abhängigen Berufsrichtern – zunächst für Pressedelikte eingeführt und 1850 auf politische Delikte und schwere Verbrechen erweitert, erfolgte die Abschaffung mit dem Sylvesterpatent 1851. Wiedereingeführt nach 1867 und letztlich verankert in der StPO 1873 bestand die Geschworenenbank zunächst aus zwölf (bis 1919 nur männlichen, einem Steuerzensus unterliegenden) Geschworenen, wobei für einen Schuldspruch (nur diesfalls war eine Aussetzung des Wahrspruches möglich) die Zwei-Drittel-Mehrheit vorgesehen war. Mit Unterbrechung während des ersten Weltkriegs war das Geschworenengericht in dieser Form bis 1934 tätig, sah sich jedoch insbesondere bei politischen bzw politisch-konnexen Verfahren, aber auch bei Tötungsdelikten aus Eifersucht wegen nicht nachvollziehbarer Freisprüche häufig Kritik ausgesetzt. Der Freispruch im sogenannten Schattendorf-Prozess war Initialzündung für den Brand des Justizpalastes am 15.7.1927. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden Geschworenengerichte 1950 wiedereingeführt, allerdings auf acht Geschworene reduziert, wobei nun für einen Schuldspruch die einfache Mehrheit ausreichte und eine Aussetzung auch bei Freispruch vorgesehen war. Dr. Winfried Garscha (Dokumentationsarchiv des österr. Widerstandes, Zentrale Forschungsstelle Nachkriegsjustiz) verwies darauf, dass die Agenden der Volksgerichte (zwei Berufs- und drei Laienrichter), denen seit 1945 die Aburteilung von Kriegsverbrechen und Verbrechen nach dem Verbotsgesetz oblag, erst 1955 den Geschworenen übertragen wurden, die in der Folge allerdings in derartigen Strafsachen selten zu Schuldsprüchen gelangten, weshalb nach mehreren – auch international – kritisierten Freisprüchen die Staatsanwaltschaften ab dem Jahr 1973 offenbar angewiesen wurden, derartige Prozesse nicht mehr vor die Geschworenen zu bringen.
Seit 1873 wurden die Kompetenzen des Geschworenengerichts, das neben Pressedelikten (va Ehrenbeleidigungen) und politischen Delikten zunächst auch für die schwere und mittelschwere Kriminalität zuständig war, wobei bei den Landesgerichten ansonsten nur ein Senat von vier Berufsrichtern tagte, nach der (zwischen 1918 bis 1920 erfolgten) Einführung des Einzelrichters und der Schöffengerichte sukzessive eingeschränkt, zuletzt durch das Budgetbegleitgesetz 2009, sodass es heute neben politischen Delikten nur mehr für Straftaten zuständig ist, die mit lebenslanger oder einer Freiheitsstrafe bedroht sind, deren Untergrenze mehr als fünf Jahre und deren Obergrenze mehr als zehn Jahre beträgt (§ 31 Abs 2 Z 1 StPO).
Vergleicht man die Anfallsdaten laut Statistik (PAR-LG 2008), standen im letzten Jahr mehr als 19.500 Einzelrichterverfahren und 4.165 Schöffenverfahren lediglich 304 Geschorenenverfahren gegenüber, deren Zahl sich nach der seit 18.6.2009 wirksamen Gesetzesänderung wahrscheinlich auf ca 120 Verfahren pro Jahr reduzieren wird.
Verfassungsgesetzlich verankert sind die Geschworenen seit 1920 in Art 91 Abs 2 B-VG, wonach sie bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen über die Schuld des Angeklagten entscheiden, während Schöffen nach Art 91 Abs 3 B-VG im Strafverfahren wegen anderer strafbarer Handlungen (ab einem gesetzlich bestimmten Strafausmaß) an der Rechtsprechung teilnehmen.
Auch im Hinblick auf diese Differenzierung (die in der novellierten Bestimmung des § 11 Abs 1 StPO fehlt, wonach in den in diesem Gesetz vorgesehenen Fällen Geschworene oder Schöffen an Hauptverhandlung und Urteilsfindung mitwirken) stelle laut Univ.Prof. Dr. Bernd-Christian Funk eine Reform der Geschworenengerichte durch gemeinsame Entscheidung von Laien und Berufsrichtern in der Schuldfrage eine Verfassungsänderung (allerdings keine Gesamtänderung) dar. Die bloße Teilnahme von Berufsrichtern an der Beratung sowie eine gemeinsame Formulierung der Entscheidungsgründe sei mit Art 91 B-VG idgF noch vereinbar.
Univ.Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter zeigte sich erstaunt, dass sich die Geschworenengerichtsbarkeit in Österreich als „heilige Kuh“ so lange gehalten habe, sei sie doch als Instrumentarium zur Wahrheitsfindung extrem schwerfällig und fehlerbehaftet und unter dem Gesichtspunkt eines modernen Rechtsstaats, in dem der unabhängige Berufsrichter der beste Garant gegen die Willkür der Herrschenden sei, per se verfehlt. Um den Aspekt der Beteiligung des Volkes an der Rechtsprechung zur Immunisierung gegen eine Abgehobenheit des Berufsrichters abzudecken, reiche ein Schöffengericht. Zentraler Punkt aus rechtsstaatlicher Sicht sei die mangelnde Begründung des Wahrspruchs und damit die völlige Unanfechtbarkeit der Beweiswürdigung, was im Licht der EMRK bedenklich sei.
Er verwies auf das Urteil der ersten Kammer des EGMR vom 13.1.2009 (926/05; Taxquet gegen Belgien), wonach es wichtig sei, dem Angeklagten, aber auch dem „Volk“, in dessen Namen das Urteil ergeht, die Erwägungen, die zu einer Verurteilung oder zu einem Freispruch geführt haben, darzulegen und die genauen Gründe für die Beantwortung einer Frage mit „ja“ oder „nein“ anzugeben.
Am 21.10.2009 wird die zweite Kammer über das dagegen erhobene Rechtsmittel Belgiens, das wie Österreich als eines der wenigen kontinentaleuropäischen Länder an der Geschworenengerichtsbarkeit festhält, entscheiden.
Univ.Prof. Dr. Helmut Fuchs weist darauf hin, dass die Geschworenengerichte zum Schutz der persönlichen Freiheit gegen die Willkür des absoluten Monarchen eingerichtet wurden und mit der Etablierung unabhängiger Richter überholt seien. So sei insbesondere kein Grund erkennbar, warum es gerade in Mord- und schweren Raubfällen der Fall sein solle, dass Angeklagte durch Geschworene gegen berufsrichterliche Willkür geschützt werden müssten. Bei Delikten mit politischem Hintergrund wiederum könne das Strafrecht seine Befriedungsfunktion am besten durch eine nüchterne und unaufgeregte Aufarbeitung des Geschehens als Straftat erfüllen; dazu seien Berufsrichter besser geeignet.
Fuchs ergänzte, dass im anglo-amerikanischen Case-law-System, in dem auch die Schaffung und Weiterentwicklung von Straftatbeständen in den Händen der Richterschaft liege, im Jury-System ein Ersatz für die fehlende Gewaltenteilung gesehen werden könne.
In unserem vom Legalitätsprinzip geprägten Rechtsystem sei dagegen der unabhängige Richter der beste Garant für Objektivität und Rechtsstaatlichkeit. Zum demokratischen Element merkte Fuchs an, dass nicht Mehrheitsentscheidungen, sondern nur die Bindung an das Gesetz Gerechtigkeit und Gleichheit garantieren und dem rechtsstaatlichen und gewaltentrennenden Prinzip entsprechen könnten. Auf eine Mitwirkung der Laien sollte freilich nicht ganz verzichtet werden; er unterstütze daher den Vorschlag, in Geschworenenverfahren künftig sechs Laienrichter und zwei Berufsrichter gemeinsam über Schuld und Strafe entscheiden zu lassen.
Der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages Dr.Gerhard Benn-Ibler meinte hingegen, man müsse das Sozialprestige der Geschworenen heben und Verteidiger und Staatsanwalt eine Auswahlmöglichkeit im Rahmen eines Hearings (Anm: wie es vor 1934 vorgesehen war) ermöglichen. Die Rechtsbelehrung solle öffentlich erfolgen, während die Beratungsergebnisse allenfalls von einem unbefangenen Juristen festgehalten werden sollten.
LStA Mag. Christian Pilnacek erwiderte, ein externer juristischer Berater würde de facto in die Rolle eines Einzelrichters gedrängt werden. Das Bundesministerium für Justiz plane eine ausführliche, im Internet abrufbare Information über die Aufgaben der Geschworenen.
Von den teilnehmenden Justizsprechern verwies AbgzNR Dr.Hannes Jarolim (SPÖ) auf die Notwendigkeit eines umfassenden und offenen Dialoges. Laienrichter seien ein wichtiges Korrelativ für den Berufsrichter.
AbgzNR Dr.Walter Rosenkranz (FPÖ) befürwortete die Beibehaltung der Geschworenengerichtsbarkeit bei politischen Delikten, aber mit einer Begründung des Wahrspruches. Problematisch sei der Medieneinfluss auf Geschworene.
AbgzNR Mag.Albert Steinhauser (Die Grünen) betonte, dass in einer Demokratie Misstrauen gegen alle Staatsgewalten zulässig sei. Die Vorteile der Geschworenengerichtsbarkeit lägen im Einbringen außerberuflicher Sichtweisen und der noch stärker ausgeprägten Unmittelbarkeit des Verfahrens.
Die Frau BM für Justiz kündigte an, in Kürze eine Arbeitsgruppe aus Experten einzuberufen, um mehrere Modelle für den weiteren politischen Entscheidungsprozess zu erarbeiten.
